X - Men: First Class
X-Men. Schon wieder ein Marvel-Comic-Franchise aus den Staaten. Und schon wieder mit einer abnormal großen Fangemeinde. In den USA sind die Erwartungen dementsprechend groß, in Europa rümpft manch einer die Nase, obwohl X-Men definitiv zu den bekannteren Comic-Ablagen gehört. Matthew Vaughn wurde nun die große Aufgabe zu Teil, die X-Men „neuzustarten“. Man liest oft und viel etwas von Prequel, doch gehe ich sogar so weit zu sagen, dass es sich um ein waschechtes Reboot des Franchise handelt. Und das gelang dem 40-jährigen Regisseur aus London mit X-Men: First Class verdammt gut.
Natürlich kann man auch von einem Prequel sprechen. X-Men: First Class (Ich weigere mich übrigens dagegen, X-Men: Erste Entscheidung zu schreiben, der Originaltitel ist viel aussagekräftiger) setzt weit vor den Geschehnissen der ersten drei X-Men-Filme, X-Men, X-Men 2 und X-Men – Der letzte Widerstand, an und rollt die verwobene Geschichte über Mutanten in unserer Gesellschaft von vorne auf.
Wie jetzt, Mutanten? Denjenigen, welchen X-Men überhaupt kein Begriff ist, sei kurz geholfen: X-Men ist ein Comic, der seinen Ursprung in den frühen 60ern hat und Teil des riesigen Marvel-Universums ist. Grob zusammengefasst dreht sich alles um Mutanten mit übernatürlichen Fähigkeiten, welche anfangs versteckt in der menschlichen Gesellschaft leben, später jedoch von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, unteranderem auch als Bedrohung für die Menschheit. Dementsprechend gibt es verschiedene Mutanten-Lager. Jene, welche in die Menschheit vertrauen und mit dieser kooperieren und die, welche es sich zum Ziel gesetzt haben, die Menschheit als dominante Rasse des Planeten Erde abzulösen und selbst die Zügel in die Hand nehmen wollen.
Offensichtlich ist das X-Men-Universum recht komplex und vielschichtig. Es ist bestimmt auch nicht verkehrt, wenn man die ein oder andere Sache darüber weiß, bevor man sich X-Men: First Class im Kino anschaut. Exemplarisch seien hierfür die vorangegangen drei X-Men-Filme genannt. Das dürfte schon ausreichen. Bei mir ist es nicht anders. Mein Basiswissen fußt auf diesen zwar oft unterhaltsamen, doch eher durchschnittlichen Comic-Verfilmungen. Mit X-Men: First Class schafft der Regisseur Matthew Vaughn jedoch einen wunderbaren Neueinstieg in die Materie und macht das Franchise wieder sehenswert und für viele Ungläubige interessant. Warum das so ist lest ihr gleich. Aber zunächst, genau, ein wenig zur Geschichte.
Gar nicht so einfach. Wie versucht man die Story von X-Men: First Class wiederzugegeben, wenn man selber weiß, dass vielen einfach das Vorwissen zu dieser Thematik fehlt? Ich probier’s einfach mal: Ich hatte ja bereits den eigentlichen Inhalt und das Grundthema des X-Men-Universums kurz erläutert. Setzen wir dort wieder an. Es gibt also zwei Lager von Mutanten, nennen wir sie vereinfacht „die Guten“ und „die Bösen“. Die einen wollen in Frieden und gegenseitiger Akzeptanz mit den Menschen leben, die anderen wollen letzteren an den Kragen und ihre Vormachtstellung aufgrund genetischer Überlegenheit behaupten.
Der Anführer der sogenannten „guten“ Mutanten ist Professor Charles Francis Xavier, ein äußerst begabter Telepath und ein verdammt schlaues Köpfchen, welcher auch Professor X genannt wird. Der Anführer der „bösen“ Mutanten nennt sich Magneto, heißt eigentlich Erik Lensherr und hat recht düstere Motive. Mit dem ist auf jeden Fall nicht gut Kirschen essen.
Und diese beiden tragen gemeinsam mit ihrer jeweiligen Anhängerschaft immer wieder kleine bis riesige Scharmützel untereinander aus, wobei Professor X stets darum bemüht ist, diplomatisch vorzugehen, Magneto jedoch eine eher direktere und rabiatere Linie fährt. Wir haben also diese beiden Konkurrenten mit völlig verschieden Ansichten und Motiven.
Was viele jedoch nicht wussten und wo X-Men: First Class jetzt ansetzt, ist die Tatsache, dass beide, Professor X aka Charles Francis Xavier und Magneto aka Erik Lehnsherr vor langer Zeit sehr gute Freunde gewesen sind und zusammengearbeitet haben. Im Laufe der Zeit entwickelten sich ihrer unterschiedlichen Vorstellungen und so kam es zu ihrer Feindschaft, obwohl Feindschaft sehr hart klingt, denn nachwievor respektieren sich beide gegenseitig und pflegen einen guten Umgangston untereinander. Und in X-Men: First Class dreht sich nun sozusagen alles um die beiden, wie sie sich kennengelernt haben, wie sie das erste Mal gemeinsam Seite an Seite in Aktion getreten sind und wie sich ihre Wege dann wieder getrennt haben.
Da wäre also zum einen Erik Lehnsherr (Michael Fassbender), dessen Fähigkeit darin besteht, magnetische Felder zu erzeugen und jede Art von Metall zu kontrollieren. Doch Erik trägt dunkle und grausige Erinnerung mit sich herum, er war während des 2. Weltkrieges in einem Konzentrationslager inhaftiert und verlor dort seine Mutter, welche von dem durchtriebenen Genforscher und KZ-Doktor "Klaus Schmidt" (Sebastian Shaw) (Kevin Bacon) erschossen wurde. Dieser führte außerdem Experimente mit dem jungen Erik durch, um dessen Mutation und Fähigkeiten zu erforschen. Gut 20 Jahre später, Anfang der 60er, kurz vor Beginn der Kuba-Krise, sinnt Erik natürlich auf Rache und jagt Klaus Schmidt aka Sebastian Shaw über den kompletten Globus.
Auf der anderen Seite haben wir den vorher besagten Charles Francis Xavier (James McAvoy), welcher im Gegensatz zu Erik wohlbehütet und mit der bestmöglichsten Erziehung aufgewachsen ist. So findet er sich später auf einer Elite-Universität wieder, wo er dank seinen überragenden geistigen Fähigkeiten (damit ist ausnahmsweise nicht seine telepathische Mutation gemeint) sich schnell seinen Professoren-Titel erarbeitet. Stets an seiner Seite ist die hübsche Gestaltenwandlerin Raven (Mystique/ Jennifer Lawrence), welche Charles in seiner Kindheit kennengelernt hat und wie eine kleine Schwester für ihn ist.
Über kurz oder lang treffen Erik und Charles aufeinander, denn ihrer Fähigkeiten werden benötigt, um einen Atom-Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion zu verhindern. Oberfiesling Sebastian Shaw hat da natürlich seine Hände im Spiel und stachelt die beiden Staaten gegeneiander an. Für Erik bietet sich so endlich die Chance, dem Mörder seiner Mutter den Garaus zu machen. Charles sieht die Möglichkeit den Menschen zu zeigen, dass die Mutanten ihnen helfen können und man keine Angst vor ihnen haben muss, ein Zusammenleben von Menschheit und Mutanten in Toleranz und Akzeptanz ist problemlos möglich. Doch kollidieren zum Ende hin die Motive und Interessen der beiden Protagonisten, sodass sie sich schlussendlich als Widersacher gegenüberstehen…
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Reicht aus. Was sich auf den ersten Blick etwas befremdlich liest, macht erstaunlicherweise sehr viel Sinn. Einer der größten Stärken von X-Men: First Class ist die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des Gezeigten, obwohl man selbst gar nicht so viel Ahnung von der Thematik hat. Das senkt den Anspruch auf etwaiges Vorwissen und erleichtert den Einstieg ins X-Men-Universum ungemein.
Generell hat man weniger den Eindruck, dass es sich um einen reinen Superhelden-/ Comic-Film handelt. Zwar werden die Fähigkeiten der einzelnen Mutanten sehr explizit vorgetragen (besonders die des Erik Lehnsherr, welcher seine Magnetfeld-Gabe oft sehr dramatisch und intensiv demonstriert, was einfach unglaublich cool und oft atemberaubend rüberkommt), doch schwingt diese Übernatürlichkeit eher seicht mit. Viel mehr fällt einem die optimal inszenierte Kalter Krieg-Kulisse der 60er Jahre und deren atomarer Auseinandersetzung zwischen USA und Sowjetunion auf. Auch wenn der Geschichtsverlauf fiktiv ist, der in vielen Kritiken erwähnte James Bond-Flair der 60er wirkt einfach sehr spannend und unterhaltsam charmant zugleich.
Desweiteren passt der Film perfekt, um mich endlich als großer Fan von Michael Fassbender zu outen. Ich finde ihn fantastisch, der Kerl hat so viel schauspielerischen Potential (Inglourious Basterds), von dem möchte ich einfach mehr sehen. Lasst ihn nach Daniel Craig (auch sehr gut) der neue Bond werden, der Junge bringt alles dafür mit. In X-Men: First Class ist unfassbar cool und unnahbar, in der Rolle des Erik Lehnsherr ist er rigoros und fest entschlossen, keiner kann ihn bremsen. Fassbender’s Umsetzung gefiel mir außerordentlich gut, das nenne ich überzeugende Schauspielarbeit.
Der zweite Protagonist James McAvoy (spielt den Professor X, anfangs aber noch nicht im Rollstuhl) ist bei mir etwas vorbelastet. Ich fand McAvoy immer recht bubihaft und nicht wirklich ernstzunehmend. Doch auch er macht das ähnlich wie Fassbender sehr gut. Beide gehen in ihrer direkt entgegengesetzten Rollen auf und liefern sich ein (schauspielerischen) Duell auf Augenhöhe. Auch der Rest der illustren Mutanten-Runde wirkt zwar des Öfteren ein wenig klischeebehaftet, doch machen auch sie ihre Sache gut bis sehr gut. Allein die Rekrutierung und Ausbildung der jungen Mutanten unter Leitung von Erik und Charles macht große Laune. Und Jennifer Lawrence (Raven Darkholme/Mystique) zankt sich mit January Jones (Emma Frost) darum, wer heißer aussieht. Unentschieden, obwohl... January Jones ist echt rattenscharf. Ich alter Mad Men-Fanboy...
X-Men: First Class hat einfach alles, was ein gelungener Sommer-Blockbuster braucht: Er hat Stil, er hat Charme, er hat das gewisse Sexappeal, er hat mehr Lacher als erwartet, er hat einen grandiosen Bösewicht in bester Dr. No-Manier und er hat den bisher besten Cameo-Auftritt des Jahres oder eventuell sogar überhaupt (wirklich, cooler geht’s nimmer). Die Effekte sind astrein, man bekommt sehr gutes CGI-Kino zu sehen, es gibt reichlich Wow-Momente, die dann auch perfekt mit der Hintergrundmusik und dem Soundtrack abgestimmt sind. Matthew Vaugh (Grandios: Kick-Ass), du alter Fuchs, da hast du echt was Gutes aus deinem Ärmel geschüttelt.
Was mich persönlich überraschte, und das durchaus positiv, war der recht politische und sozialkritische Unterton von X-Men: First Class. First Class schwingt sich nicht zum absoluten Moralapostel auf, jedoch spielt diese Komponente keine unwesentliche Rolle im Film. Mal von dem Kalten Krieg-Szenario zwischen USA und Sowjetunion abgesehen, Mutanten werden diskriminiert und wie Aussätzige behandelt. Dagegen soll vorgegangen, auf der einen Seite mit Diplomatie (Prof. X), auf der anderen durch rohe Gewalt (Magneto). Diese Thematik scheint in den Comics fester Bestandteil zu sein, ähnlich auffällig war es auch schon in den ersten drei X-Men-Filmen, jedoch nicht so sehr wie in X-Men: First Class. Das man solch ein Thema wie Rassendiskriminierung (historischer Querverweis auf Nazideutschland unter Adolf Hitler oder die sogenannten Rassenunruhen in den 60ern in den USA) aufgreift, finde ich höchstinteressant. Popkultur (in diesem Fall Comichefte) hat eben doch mehr zu bieten, als manche es glauben würden.
Teil des Casts: v.l.n.r. Lucas Till, Rose Byrne, Zoë Kravitz, Kevin Bacon, January Jones, James McAvoy und Michael Fassbender
Obwohl ich voll des Lobes bin, eine Schwachstelle hat X-Men: First Class: Die Story. Aber jetzt wird auf hohem Niveau genörgelt. Ganz ehrlich: Ich find die Story absolut passend und schlüssig. Die ganze Fiktion dahinter ist wohlüberlegt und geschickt inszeniert. Und das sieht wohl auch das Gros der Kinogänger so. Doch bei genauerem Hinsehen fällt einem auf, dass Regisseur Matthew Vaughn oft zügig von Szene zu Szene springt. Man muss nicht zu versessen auf Details sein, doch werden viele Sachen schnell abgehakt und ad acta gelegt. Dass tut dem Film jedoch keinem Abbruch, Vaughn’s X-Men entwickelt sein ganz eigenes Tempo und holt das bestmöglichste aus der kurzen Drehzeit, die Regisseur und Crew zur Verfügung standen, raus.
Nichtsdestotrotz, mit ein wenig mehr Feinschliff und etwas mehr Zeit für die Dreharbeiten sowie Nachbearbeitung (6 - 8 Monate für das komplette Projekt) für alle Beteiligten, hätte X-Men: First Class ein ganz großer Wurf in den Analen der Comic-Verfilmungen werden können. So bleibt aber am Ende ein immer noch sehr guter Blockbuster, der sehr gekonnt unterhält, Spaß macht, einen fesselnd und auf jeden Fall einen Blick wert ist.
Regisseur Matthew Vaughn bei den Dreharbeiten
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Fazit
Hat sich ja fast wie eine Zehner-Wertung gelesen nicht wahr? Dafür reicht es nicht ganz, X-Men: First Class bleibt aber trotzdem einer der sehenswertesten und besten Blockbuster des Jahres 2011 bis zu diesem Zeitpunkt. Die Geschichte ist packend, die Charaktere einzigartig (bei Mutanten nicht gerade schwer oder?), die Schauspieler, allen voran Michael Fassbender und James McAvoy, überdurchschnittlich gut und die Inszenierung glaubhaft sowie spannungsreich. Den kleinen Story-Makel darf man ruhig ignorieren, Regisseur Matthew Vaughn schafft es geschickt, diesen zu kaschieren und fügt X-Men: First Class seine ganz eigene Note zu, sodass man letztendlich ein stilsicher-elegantes und kurzweilig-ansprechendes Gesamtwerk zu sehen bekommt. Eine dicke Empfehlung gibt’s von mir, X-Men: First Class sollte man als geneigter Kinogänger definitiv gesehen haben.
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