Montag, 9. Mai 2011

Sie ist eben eine waschechte Dolly

Review

Winter's Bone



Grau und trostlos sieht’s hier aus. Heruntergekommene Hütten, auf den Grundstücken ist reichlich Plunder verteilt, man hört ein paar Hunde bellen, doch sonst ist alles still. Es bedrückt einen. Alles bedrückt einen. Winter’s Bone gehört zu den besonderen Kinofilmen dieses Jahres und ist definitiv einen Kinobesuch wert. Regisseurin Debra Granik leistete mit ihrem ersten großen Film ganze Arbeit und zeichnet eine Atmosphäre, die Ihresgleichen sucht. Winter’s Bone – Eine Empfehlung.

Winter’s Bone läuft ja schon seit Ende März in unseren Kinos und tut sich wie es so oft Filme dieser Art tun ziemlich schwer. Verständlich, denn Sozialdramen haben in Deutschland keinen guten Stand. Und so kommt es, dass Winter’s Bone langsam wieder aus den deutschen Kinos verschwindet. Da hilft auch keine Oscarnomminierung als bester Film oder für Jennifer Lawrence als beste Hauptdarstellerin bzw. John Hawkes als bester Hauptdarsteller.

Ich selbst hatte Winter’s Bone schon länger auf dem Schirm. Spätestens nach der Bekanntgabe der Oscarnomminierten 2011 wurde ich neugierig. Denn da tummelte sich neben den großen Produktionen wie Inception, Black Swan, True Grit oder The Fighter eben auch jenes Winter’s Bone. Das Internet gab Aufschluss und ich entschied für mich, dass ich diesen Film auf jeden Fall noch sehen muss. Ähnlich ging es mir bei Biutiful und hier zahlte sich der Kinobesuch wirklich aus.

Also suchte ich mir ein kleines Kino in Berlin und wurde auch kurze Zeit fündig. In einem urigen Kino-Kabarett-Hybrid-Theater lief Winter’s Bone, drei Euro für Studenten, Kommilitone geschnappt und in den beachtlich gemütlichen „Kinosaal“ gesetzt.

Gut 90 Minuten später lief dann der Abspann von Winter’s Bone und ich war ziemlich angeschlagen. Irgendwie ein wenig gebeutelt und sehr bedrückt. In Winter’s Bone werden nicht viele Worte gewechselt, es wird auch nur das nötigste gezeigt, vieles bleibt dem Zuschauer selbst überlassen. Die Atmosphäre hinterlässt ihre Spuren, nicht einmal schwankt sie um ins Positive, man wird dauerhaft deprimierenden Bildern ausgesetzt. Und am Ende, so paradox es auch klingen mag, ist Winter’s Bone doch auf seine ganz eigene Art und Weise ein schöner Film.

Eine kurze Inhaltsangabe:

Missouri, irgendwo im nirgendwo der Vereinigten Staaten von Amerika. Die kalten Wintermonate sind angebrochen, die Bäume kahl, die Luft kühl. In jener hügeligen, trost- und farblosen Landschaft leben, oder besser gesagt hausen, tatsächlich Menschen. Im amerikanischen Volksmund als Rednecks oder Hillbillys verschrien, Hinterwäldler würden wir sie nennen. Man erkennt baufällige Häuser, ranzigen Schuppen, zerlegte Autos in den Höfen der Bauten und marode Scheunen. Ein paar Hunde lechzen über die Grundstücke, sonst ist keine Menschenseele zu sehen.

In dieser Einöde lebt die 17jährige Ree Dolly (Jennifer Lawrence) zusammen mit ihrer kranken Mutter und ihren beiden jüngeren Geschwistern. Der Vater ist mal wieder verschwunden, doch er wird schon wieder auftauchen. Er taucht immer auf. Ree kümmert sich um ihre depressiv-gestörte Mutter und erzieht ihre beiden Geschwister so gut wie es geht im Alleingang. Ab und zu bekommt sie Hilfe von den Nachbarn. Schließlich ist man eine große Familie, auch wenn vielleicht nur entfernt verwandt, hier muss man zusammenhalten.

Jedoch tut sich kein unwesentliches Problem auf. Ree und ihrer Familie droht die Obdachlosigkeit, da sie vermutlich ihr Haus verlieren werden. Woran liegt das? Ihr Vater verpfändete das Grundstück plus anliegenden Wald, um die Kaution für seine Haftstrafe zu bezahlen. Jedoch tauchte er wenige Tage nach seiner Entlassung nicht bei seiner Gerichtsverhandlung auf. Wenn er sich innerhalb einer Woche nicht meldet, geht das Grundstück und Haus der Dollys an die Pfandleiher. Ree ist sich dem Umstand bewusst, dass das Haus noch das einzige ist, was ihr und ihrer Familie geblieben ist. Sie muss ihren Vater finden, sonst verlieren sie alles.

Also begibt sich Ree auf die Suche nach ihrem Erzeuger. Sie klappert sämtliche Möglichkeit ab, wird jedoch jedes Mal sehr forsch abgewiesen. Selbst ihres Vaters Bruder (John Hawkes) verhält sich ihr gegenüber sehr abweisend und auffällig. Ree’s Misstrauen in die sonst so verschworene Nachbarschaft wächst zunehmend. Auch ist sie sich dessen bewusst, dass ihr Vater kein Heiliger war, im Gegenteil, er verdient sich sein Lebensunterhalt mit der Herstellung und den Vertrieb von Crystal Meth und allerlei anderer Drogen. Doch ist dies keine Seltenheit in dieser Gegend, jeder hat ihr Dreck am Stecken.

Und auch wenn die Hoffnung, ihren Vater noch lebend zu finden, minütlich schwindet, gibt Ree nicht auf. Selbst der Fund ihres Vaters Leiche könnte ihr und ihrer Familie helfen und den Verlust ihres Hauses abwenden. Doch niemand mag der hartnäckigen Ree helfen. Auch wenn ein jeder beteuert, er oder sie wüsste nicht, wo sich ihr Vater aufhalten könnte, ihre Gesichter sagen etwas anderes. Immer in Gedanken bei ihren Geschwistern begibt sich Ree auf eine gefährliche Suche nach Antworten, um das Geheimnis des Verschwindens und wohlmöglichen Tod ihres Vaters aufzuklären…

Die Atmosphäre in Winter’s Bone ist einfach einzigartig. Und hier liegt auch die größte Stärke des Films. Sie erzeugt Unbehagen, Schauer und den Wunsch, schnellstmöglich von diesem einsamen Ort irgendwo in Missouri wegzukommen. Durch diese gekonnte Inszenierung der 48jährigen Regisseurin Debra Granik wird man gebannt und gefesselt. Auch wenn man sich eher zurücklehnt und sich einem ein mulmiges Gefühl auftut, man folgt dem Film bedingungslos.

Hier kommt der zweite sehr gute Aspekt von Winter’s Bone zum Tragen. Der Film ist unheimlich spannend, und das auf einer ganz eigenen Art und Weise. Keine Hollywood-Spannung, wo alle fünf Minuten droht irgendeine Bombe hochzugehen. Eher subtil, langsam bahnt sich die junge Ree ihren Weg durch die zahlreichen Geheimnisse der eingefleischten Hinterwäldler-Gemeinschaft. Schritt für Schritt geht es voran, behutsam möchte man meinen, doch im nächsten Moment wirkt alles auf einmal sehr intensiv und unmittelbar. Sehr gut gemacht.

Eigentlich kann man sämtlichen Darstellern ein Lob aussprechen. Wieder einmal ist Authentizität das Schlagwort und diese wird auch perfekt übermittelt. Die Performance ist glaubenswürdig und lebensnah, obwohl ich auch zugeben muss, dass ich mir (zum Glück) noch kein eigenes Bild von jenen Hinterwäldlern und ihrem Lebensstil machen konnte. Doch in Winter’s Bone wirkt es nun mal sehr echt und nah an der Realität.

Jennifer Lawrence und John Hawkes muss ich aus der Besetzung herauspicken. Beiden kommen gewichtigere Rollen zu, gerade der jungen Lawrence. Sie verkörpert die 17jährige Ree Dolly und präsentiert sich fabelhaft. Fabelhaft hört sich jetzt sehr blumig an, eher das Gegenteil ist der Fall, sie muss durch den Dreck waten, viel einstecken und eine kleine Odyssee bewältigen. Jennifer Lawrence gefiel mir in ihrer Rolle sehr gut, rigoros und zu allem bereit. Gut, bis auf in einer Szene vielleicht. Diese bleibt hier unerwähnt, wer sich den Film ansieht wird erkennen, welche ich meine. Auch wenn sie hier doch nicht zu allem bereit erscheint, ist auch hier ihr Auftreten sehr packend und überzeugend.

John Hawkes spielt Teardrop, den Onkel von Ree und den Bruder ihres verschollenen Vaters. Seine schauspielerische Leistung ist erwähnenswert, da Hawkes' Rolle äußerst komplex ist, doch ebenso sehr subtil und ruhig gespielt werden muss. Da gelingt ihm überaus gut. Sowohl John Hawkes als auch die vorher genannte Jennifer Lawrence haben sich ihre Oscarnomminierungen für dieses Jahr verdient gehabt.

Das größte Problem Filme solcher Art ist es meistens, den Zuschauer über die gesamte Dauer des Streifens zu fesseln. Und auch in Winter’s Bone gibt es die eine oder andere Stelle, wo es sehr zäh vorangeht. Für die einen ziehen sich solche Szenen zu sehr in die Länge, für die anderen gehört das einfach zum gepflegten Spannungsaufbau. Ich bin in solchen Fällen immer sehr kulant mit den Filmemachern (siehe Biutiful), doch ist es ebenso verständlich, dass sich einige Menschen daran stören.

Ein weiterer Punkt ist wohl die Wortlosigkeit von Winter’s Bone. Vieles wird dem Zuschauer überlassen, Granik arbeitet mit viel Subtext und Interpretation. Mir gefällt es, da dadurch der spannungsvollen Atmosphäre zugearbeitet wird. Aber auch hier ist es wiederum nachvollziehbar, wenn sich einige Zuschauer aufgrund jener Stille langweilen. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Zum Glück.

Mich hat Winter’s Bone sehr beeindruckt, ich kann die wenigen negativen Aspekte des Films verkraften, denn der Streifen hinterlässt auf mich einen sehr nachhaltigen und Eindruck.

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Fazit

Winter’s Bone empfehle ich jedem, der sich mal ein etwas spezielleres Kino zutraut. Die Atmosphäre ist einzigartig und die Charaktere sowie Inszenierung sehr glaubhaft und authentisch. Debra Granik's Film hinterlässt einen gewissen Eindruck, zum einen ein sehr bedrückendes Gefühl, zum anderen eine Art von Erleichterung. Jennifer Lawrence gefiel mir in ihrer ersten großen Hauptrolle sehr gut, ihre Darbietung macht Lust auf mehr. Gleiches gilt für John Hawkes, ein guter Mann. Winter’s Bone gehört zu den sehr guten Kinofilmen des Jahres, welche nicht den Anspruch haben, einfaches Blockbuster-Kino zu verkaufen, sondern mit viel Köpfchen etwas Besonderes auf die Leinwand zu bringen. Sehr sehenswert.

Wertung:

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Trailer



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